Der „Eierkoch“-Beweis: Stehen Gebrauchsgegenstände im Museum, gilt für sie Urheberrechtsschutz

9. März 2011 | Von | Kategorie: News
Wagenfeld "Eierkoch"

Wagenfeld "Eierkoch"

Selbst aufwendig gestalteten Gebrauchsgegenständen verwehren die Gerichte meist den Urheberrechtsschutz. Grund: Es fehle ihnen die über dem handwerklich Durchschnittlichen liegende Schöpfungshöhe und es bestehe ja die Möglichkeit des Geschmacksmusterschutzes. Anders das OLG München in der jetzt veröffentlichten Begründung des Urteils vom 14. 10. 2010 im „Eierkoch“-Streit.

Der „Eierkoch“ wurde 1934 vom Bauhaus-Künstler und Pionier der industriellen Produktgestaltung Prof. Wilhelm Wagenfeld (15.04.1900 – 28.05.1990) als Prototyp im Rahmen einer von ihm gestalteten Serie von Haushaltsgegenständen aus feuerfestem Glas entwickelt. Er ist für die Zubereitung von Eiern, Pasteten, Soufflés und Süßspeisen geeignet. Der „Eierkoch” wurde in die Sammlungen moderner Gebrauchskunst des Staatlichen Museums für angewandte Kunst in München sowie anderer Museen aufgenommen.

Nachahmung

Nachahmung

Die Klägerin erwarb 2006 von der Wagenfeld-Erbin die ausschließlichen Nutzungsrechte an verschiedenen Entwürfen zum Zwecke der industriellen Herstellung und des Vertriebs entsprechender Erzeugnisse, u.a. des „Eierkoch”. Die Beklagte vertrieb seit Anfang 2007 eine Nachahmung des „Eierkocher”. Die Klägerin sah in der Nachahmung eine Verletzung der von ihr erworbenen Urheberrechte.

Üblicherweise versagen die Gerichte den Urheberschutz für Gebrauchsgegenstände, weil diese Handwerk und keine Kunst seinen. Anders das OLG München im „Eierkoch” – Streit. Dieser genieße als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlichen Schutz. Die fachkundige Begründung der Münchener Richter lässt vermuten, dass sie ihre Zeit häufiger in den fußläufig zum Gerichtsgebäude gelegenen Sammlungen moderner Gebrauchskunst verbringen. In ihrer Urteilsbegründung führen sie aus:

Bei der Beurteilung, ob einem gewerblichen Erzeugnis die Eigenschaft als Werk der angewandten Kunst zuzuerkennen ist, kommt es darauf an, ob der den Formensinn ansprechende Gehalt, der in dem Erzeugnis seine Verwirklichung gefunden hat, ausreicht, dass nach den im Leben herrschenden Anschauungen von Kunst gesprochen werden kann. Unabhängig von seinem Gebrauchszweck darf sich der Gegenstand nicht auf eine Formgebung beschränken, die vorgegeben oder lediglich technisch bedingt ist.

Diesen an das Vorliegen eines Werks der angewandten Kunst zu stellenden Anforderungen leistet der „Eierkoch” von Wagenfeld Genüge. Herkömmliche Eierkochgefäße aus dem vorbekannten Formenschatz (Anmerkung d. Red.: d.h. vor dem Jahre 1934) wiesen zwar die auch dem „Eierkoch” innewohnenden, technisch bedingten Merkmale eines sich nach unten verjüngenden Glaskörpers mit einem nach Art eines Deckels gestalteten Verschlusssystems auf. Mit Ausnahme der vorwiegend in England verbreiteten Eierkocher – die jedoch nicht aus Glas, sondern aus Porzellan hergestellt wurden – beschränkt sich der vorbekannte Formenschatz allerdings auf die strikte Funktionalität des Erzeugnisses, ohne den erkennbaren Anspruch zu erheben, das ästhetische Empfinden des Betrachters durch eine eigentümliche Formgebung in besonderer Weise ansprechen zu wollen.

Demgegenüber hebt sich der streitgegenständliche „Eierkoch” von Wagenfeld deutlich von einer durchschnittlichen und rein handwerksmäßigen Gestaltung ab. Er richtet das Augenmerk des Betrachters nicht nur auf den Gebrauchszweck des Erzeugnisses. Der Entwurf des „Eierkoch” verrät vielmehr das Bemühen des Gestalters, eine gelungene Synthese zwischen der Funktionalität des Gefäßes und einer das ästhetische Empfinden des Betrachters ansprechenden äußeren Formgebung zu finden. Hierbei hat sich Prof. Wagenfeld – wie im Fall der „Wagenfeld-Leuchte”  – des das Industriedesign der damaligen Zeit prägenden „Bauhaus-Programmes” bedient: der betonten Verwendung technischer Materialien (Glas und Metall), der Offenlegung der Funktion des betreffenden Erzeugnisses in seinen Einzelteilen und einer ästhetischen Form aus der Harmonie einfacher Grundkörper. Darin liegt die von den Beklagten in Abrede gestellte, die Werkeigenschaft begründende eigene „Formensprache” des „Eierkoch”.

Fazit: Sobald ein Gebrauchsgegenstand in einem staatlichen Museum steht, erkennen die Gerichte dessen urheberrechtlichen Schutz an.

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