Seit je her benutzen Schriftsteller, Musiker, Architekten und Designer bekannte Formen und Symbole; zitieren diese, ordnen sie neu, variieren sie und am Ende steht etwas Neues.
Das ist ein fortlaufender Entwicklungsprozess, der nicht zuletzt von der menschlichen Psyche getrieben wird: Dem Reiz des Neuen und der Langeweile des Bekannten. Und ebenso menschlich sind die Beharrungskräfte des Bekannten, die ihre früheren Innovationen verteidigen wollen.
Und so muss die Designabteilung des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt (HABM) regelmäßig über die Frage entscheiden:
Was ist ein Plagiat und was ist eine Innovation?
Eine aktuelle Entscheidung fiel am 17. Juni 2015 im Streit der Sofamodelle „BERLIN“ vs. „NESTA“.
Im Jahre 2012 ließ sich der Geschäftsführer der JV Möbel GmbH aus Mietingen mehrere Designs für die Sofaserie „BERLIN“ beim Deutschen Paten- und Markenamt (DPMA) eintragen.
Zwei Jahre später ließ sich der Schweizer Designer Patrick Brillowski von anderen noch älteren Sofadesigns inspirieren, entwarf die Modellreihe „NESTA“ und ließ sich das Design hierfür beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) als europäisches Gemeinschaftsgeschmacksmuster registrieren. Die Designersofas von Patrick Brillowski werden unter der Marke „INNOCENT-Design“ vertrieben.
Nachdem einige Möbelhändler in Deutschland „NESTA“ ankündigten, wurden diese Händler von der JV Möbel GmbH eindringlich auf die eigenen Designeintragungen für die Reihe „BERLIN“ hingewiesen. Gegen die Designeintragung für „NESTA“ wurde ein Nichtigkeitsantrag beim HABM eingereicht, weil „NESTA“ denselben Gesamteindruck wie „BERLIN“ habe. Für einen solchen Nichtigkeitsantrag sind Gebühren von 350 Euro an das Amt zu entrichten.
Entscheidung der Designabteilung des HABM
In seiner Entscheidung vom 17. Juni 2015 führt das HABM aus, dass „NESTA“ einen anderen Gesamteindruck als „BERLIN“ habe und deshalb der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit zurückgewiesen wird.
In der amtlichen Begründung werden die gestalterischen Elemente der Designs gegenübergestellt und als für den unterschiedlichen Gesamteindruck wesentlich folgende Merkmale herausgestellt:
Unterschiedliche Merkmale der Designersofas
Das HABM führt in seinem Beschluss vom 17.06.2015 aus:
Die Eigenart des Streitmusters ist dann gegeben, wenn sein Gegenstand beim informierten Benutzer einen Gesamteindruck hervorruft, der sich von dem Gesamteindruck unterscheidet, den das ältere Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft.
…
Insbesondere durch das Quadratische seiner Sitzflächen, die Symetrie seiner L-Form und die Einheitlichkeit seiner Farbe wirkt das Sofa des Streitmusters moderner und eleganter als das ältere Design. Dazu kommen augenfällige Unterschiede in den Eck- und Seitenteilen. Das ältere Design und das Streitmuster rufen bei einem informierten Benutzer nicht den gleichen Gesamteindruck hervor.
Fazit: Jedes neue Design baut auf dem bekannten Formenschatz auf. Doch nicht jede Übernahme bekannter Gestaltungselemente begründet ein Plagiat. Entscheidend ist stattdessen der Gesamteindruck.
(Quelle: HABM Beschluss vom 17.06.2015 zum Az.: ICD 9798)